Catch and Release & Entnahmefenster (Teil 2)

Im ersten Teil dieser kleinen Serie habe ich kurz versucht darzulegen, warum das Mindestmaß als Management-Tool in Deutschland überhaupt entstanden ist und warum es so weit verbreitet ist. Das Mindestmaß als gesetzliche Regelung führt aber auch immer wieder dazu, dass behauptet wird, dass Catch and Release – also das Fangen und Zurücksetzen von Fischen – in Deutschland verboten sei. Dem ist eindeutig nicht so und warum das nicht so ist, habe ich im ersten Teil auch erläutert. 

Hier im zweiten Teil soll es jetzt im Detail um die ökologischen Folgen von „reinem“ Catch and Release gehen.

 „Reines“ Catch and Release – Nur kurz, damit wir alle das gleiche meinen

Reines Catch and Release kannte man bis vor ein paar Jahren eigentlich nur vom Karpfenangeln. Der Karpfen war/ist die heilige Kuh und es kam eigentlich überhaupt nicht in Frage, dass auch nur einer der gefangenen Fische für den Verzehr entnommen wurde. 

Das heißt, manche Angler sind bereits mit der Intention an ein Gewässer gefahren, unter keinen Umständen auch nur einen der gefangenen Fische zu entnehmen. Das wäre reines Catch and Release und unter diesen Voraussetzungen in Deutschland natürlich auch verboten. 

Mittlerweile ist diese Entwicklung auch bei anderen Fischarten angekommen und die Zahl der Angler, die ans Wasser fahren ohne jegliche Absicht einen Fisch zu entnehmen, wächst ständig (auch wenn es zurzeit noch die Ausnahme ist). 

Die Gründe dahinter sind recht schnell erklärt. Niemand muss mehr seinen Speiseplan durch selbst geangelten Fisch ergänzen. Angeln ist vielmehr eine Erholung und ein Ausgleich zur stressigen Arbeitswelt. Und wann sind wir am zufriedensten nach einem Angeltag? Richtig, wenn wir viele und möglichst große Fische gefangen haben (Birdsong et al., 2021). Das ist durch Studien belegt. 

Vergessen wir also mal den Kram vom „Naturerlebnis“ und „Schneider? Egal! Hauptsache ich war am Wasser.“ Es geht um viele und möglichst große Fische. Wie bekommt man also möglichst viele und große Fische in einem Gewässer? Klar, in dem man möglichst keine gefangenen Fische entnimmt. So einfach scheint die Logik. Ganz so einfach ist es aber natürlich nicht und hier kommen wir jetzt zu ein paar spannenden ökologischen Effekten von reinem Catch and Release. 

Wie gesagt, in Deutschland nicht erlaubt, aber in den Staaten wird es immer mehr zur gängigen Praxis und hier findet auch die Wissenschaft zu diesem Thema statt.

Ökologische Folgen von reinem Catch and Release

Die ökologischen Folgen von reinem Catch and Release sind interessanter Weise sehr abhängig von der jeweiligen Art (Sass & Shaw, 2020). 

Zum Beispiel für den Forellenbarsch zeigt die untenstehende Grafik aus dem Artikel von Sass & Shaw (2020), wie stark die Catch-and-Release-Rate für diese Fischart in einem Teilgebiet von Wisconsin (ungefähr so groß wie Bayern) zugenommen hat.

Ökologische Folgen von reinem Catch and Release
Ökologische Folgen von reinem Catch and Release

Abbildung 1: Zunahme der Catch-and-Release-Rate für den Forellenbarsch in Wisconsin (Ceded Territory) von 1991 bis 2011. Abbildung aus Sass & Shaw (2020)

Innerhalb von 20 Jahren ist die Catch-and-Release-Rate von 80% auf circa 95% gestiegen. Es ist sicher schwer zu sagen, wie die Zurücksetzraten für einzelne Fischarten in Deutschland zurzeit aussehen, aber ich denke, dass man vielleicht für den Barsch am ehesten von ähnlichen Werten ausgehen kann. 

Bei 80 % würden von 10 gefangenen Barschen am Tag 2 Barsche entnommen werden. Das kann ich mir zumindest als realistisch vorstellen. In jedem Fall hat sich für die Schwarzbarsche (zu denen der Forellenbarsch gehört) sehr deutlich gezeigt, dass der Anstieg an zurückgesetzten Fischen zwar zu einer Erhöhung der Fangzahlen pro AnglerIn geführt hat, allerdings die Wachstumsraten der einzelnen Tiere sich deutlich verlangsamt haben und auch die Maximalgröße der Tiere innerhalb einer Population kleiner geworden ist. Im Prinzip ist es also zu einer Verbuttung der Bestände gekommen. Sicher nicht das Ergebnis, was man sich von striktem Catch-and-Release erhoffen würde.Die nächste Abbildung zeigt die Zurücksetzrate für Musky (Esox masquinongy), also dem „amerikanischen Hecht“, beispielhaft für einen See ebenfalls in Wisconsin. Man sieht, dass bei dem Musky nahezu jeder Fisch zurückgesetzt wird und eine Entnahme eigentlich nicht stattfindet.

Wie sich diese hohen Zurücksetzraten auf die Anglerfänge auswirkt, ist etwas schwieriger zu quantifizieren. Fangbücher und Fangmeldungen zeigen, dass die reine Anzahl der gefangenen Fische in den letzten Jahren zurückgegangen ist. Gleichzeitig zeigen andere behördliche Befischungen, dass die Anzahl an Jungfischen des Musky in den Uferbereichen der Gewässer zurückgegangen ist. Beides spricht dafür, dass die Anzahl an kleineren Muskies zurückgegangen ist. Der Effekt wäre hier also, dass die Musky an sich vermutlich größer werden, bzw. es mehr größere Fische in der Population gibt. Das geht allerdings auf Kosten der Anzahl an kleineren Individuen. Etwas sehr ähnliches würde man vermutlich auch beim Hecht beobachten können. Mehr größere Fische auf Kosten der Anzahl an gefangenen Fischen. Ob das sinnvoll ist, hängt sicherlich im Wesentlichen von den Interessen der einzelnen AnglerInnen an einem entsprechenden Gewässer ab.

Wie sich diese hohen Zurücksetzraten auf die Anglerfänge auswirkt

Abbildung 1: Zunahme der Catch-and-Release-Rate für den Musky in Wisconsin (Ceded Territory) von 1985 bis 2015. Abbildung aus Sass & Shaw (2020)

Kurzes Fazit

Obwohl es zunächst sehr einfach scheint, sind die Folgen von strikten Catch and Release nicht einfach abzuschätzen und definitiv artspezifisch. Wenn das Ziel ist, dass man mehr Trophäenfische einer bestimmten Art fangen möchte, kann Catch and Release sogar kontraproduktiv sein. 

Wir können sicher davon ausgehen, dass das, was wir in den USA für Schwarzbarsche und den Musky sehen, teilweise auf Flussbarsch und Hecht übertragbar ist. Für einen Hechtangler wie mich, der lieber ein paar mehr Aktionen am Angeltag hat, als auf einen Ausnahme Fisch zu warten, wäre reines Catch and Release sicher keine gute Lösung (zumal ich gerne Fisch esse!).

Was man nicht vergessen sollte

Diese ganze Diskussion über Catch and Release ist in Deutschland ja nochmal so richtig entfacht worden, seit einige Firmen gemerkt haben, dass man mit dem Hobby Angeln gutes Geld verdienen kann. Diese Entwicklung fand in den USA schon vor etlichen Jahren statt und der Angelsport ist mittlerweile völlig durchkommerzialisiert. Interessant finde ich daher ein Zitat aus der Einleitung des Artikels, aus dem ich auch die Infos hier gezogen habe:

„Angler CR is a relatively recent socially-driven phenomenon for inland fisheries that has been promoted to conserve charismatic and previously harvested species, and to improve population size structure and trophy potential. For example, stakeholder groups such as the Bass Anglers Sportsman Society (B.A.S.S.) and Muskies, Inc. have promoted CR as a mechanism to increase trophy potential in the black basses and muskellunge. Prevalence of CR has also been commensurate with the increasing popularity and commercialization of fishing tournaments over time because tournament sponsors often require and promote CR.“ aus Sass & Shaw (2020)

Catch and Release wird oft als Interesse der AnglerInnen für Artenschutz und dem Wohlergehen und Erhalt einer bestimmten Art verkauft. Manchmal wird es noch schlimmer, wenn Catch and Release als Schutzmaßnahme für die Unterwasserwelt dargestellt wird. Beides ist leider absolut falsch und unbegründet und wir müssen uns vielmehr darüber klar werden, dass hinter derartigen Forderungen (das trifft übrigens auch teilweise für das Entnahmefenster zu) reine wirtschaftliche Interessen stehen.

Wenn Catch and Release, dann aber richtig!

Catch and Release gehört zum Anglerleben dazu, ob nun wegen Schonzeiten, Mindestmaßen oder anderen Schutzmaßnahmen, oder eben, weil jemand gerne mehr größere Fische fangen möchte. Entscheidend ist, dass zurückgesetzte Fische auch eine gute Überlebenschance haben. Darum hier kurz in Stichpunkten wesentliche Faktoren, die zu einer hohen Überlebenswahrscheinlichkeit zurückgesetzter Fische beitragen können:

  1. Umso wärmer das Wasser, umso schneller müssen die Fische zurück!
  2. Gummierte Kescher sind Pflicht (oder Handlandung bei kleinen Fischen).
  3. Widerhakenlose Haken erhöhen die Chance auf ein Überleben der Fische enorm.
  4. Die Drillzeit sollte angepasst sein, weder zu lang, noch zu kurz! Beides sieht man leider häufig  falsch in gängigen Video-Formaten.
  5. Wenn Fische bluten, ist die Überlebenswahrscheinlichkeit sehr gering.
  6. Kleine Fische einer Art und Individuen, die um die Laichzeit gefangen werden, müssen besonders schnell zurück!
  7. Jegliche raue Oberflächen (z.B. der “coole” Teppichboden auf Booten), sind sehr problematisch, wenn die Fische damit in Kontakt kommen.

Die Liste lässt sich sicherlich ergänzen. Dazu aber an anderer Stelle mehr.

Quellen

Birdsong, M, Hunt, LM, Arlinghaus, R. (2021) Recreational angler satisfaction: What drives it?. Fish and Fisheries; 22: 682– 706. https://doi.org/10.1111/faf.12545

Sass, G, & Shaw S. L. (2020) Catch-and-Release Influences on Inland Recreational Fisheries, Reviews in Fisheries Science & Aquaculture, 28:2, 211-227, DOI: 10.1080/23308249.2019.1701407

Barotrauma – Ab welcher Fangtiefe ist ein Zurücksetzen von Fischen nicht mehr sinnvoll?

Angler und Angelmethoden werden immer effektiver und verschiedene Entwicklungen ermöglichen auch in der kalten Jahreszeit immer bessere Fänge von Fischen unterschiedlichster Arten. Viele dieser Fische sollen oder müssen nach dem Fang wieder schonend in ihr Element entlassen werden. Aber, gerade jetzt im Winter suchen immer mehr Fische die tieferen Bereiche der Gewässer auf und wir als angelnde Personen müssen uns fragen, ob ein Zurücksetzen eines gefangenen Fisches überhaupt noch sinnvoll ist. 

Neben der „normalen“ Sterblichkeitswahrscheinlichkeit durch den Prozess des Angelns, kommt ab einem bestimmten Tiefenbereich noch die Gefahr eines Barotraumas für die Fische hinzu. Was bedeutet Barotrauma, woran erkennt man es und welche Fischarten sind ab welchen Tiefenbereichen besonders betroffen? Das erfahrt ihr in dem folgenden Artikel.

Das Barotrauma

Man kennt eine extreme Form des Barotraumas meist aus Angelberichten aus dem Meeresbereich. Oft sieht man in solchen Berichten Fische mit „Glotzaugen“ oder Fische dehnen die Schwimmblase quasi aus dem Maul rausguckt (Bild siehe oben, Fisch wurde zum Verzehr entnommen).

Im Bereich des Angelns tritt das Barotrauma ganz generell dann auf, wenn Fische aus größeren Tiefen an die Oberfläche geholt werden. Das Problem ist die fehlende Möglichkeit zum Gasaustausch. Besonders die Luft in der Luftblase dehnt sich extrem aus und zerquetscht den Fisch quasi von innen. Aber auch alle anderen gasgefüllten Räume dehnen sich aus. 

Neben diesen extremen Anzeichen kann ein Barotrauma aber auch weniger offensichtlich sein. Zum Beispiel in Form einer Quetschung von inneren Organen, Gasembolien oder inneren Blutungen. Wir als angelnde Personen merken das nicht, für den Fisch sinkt allerdings die Überlebenswahrscheinlichkeit dramatisch. Ein Barotrauma ist also nicht immer für uns offensichtlich zu erkennen, umso besser sollten wir die Tiefenbereiche kennen, ab denen es für bestimmte Fischarten kritisch werden kann.

Welche Fischarten sind besonders betroffen?

Ab welcher Tiefe ein Barotrauma auftreten kann, ist natürlich von der Fischart abhängig. Ganz generell gibt es zwei große Gruppen, die hier unterschieden werden. Die Physostomen und die Physoklisten. Bei den Physostomen Fischen existiert eine Verbindung zwischen Schwimmblase und Darm. Diese Verbindung ermöglicht einen schnelleren Gasaustausch und damit eine geringere Gefahr eines Barotraumas. Bei den Physoklisten existiert diese Verbindung nicht. Ein schneller Gasaustausch ist nicht möglich und die Gefahr eines Barotraumas steigt.

Ein paar wenige Beispiele:

PhysostomePhysoklisten
HechtBarsch
RegenbogenforelleZander
Karpfen
Rapfen

Wann ist ein Fisch in zu tiefem Wasser gefangen worden?

Wir sollten unsere Aufmerksamkeit also vor allem auf Barsche und Zander richten. Studien zu genau diesen beiden Fischarten sind eher selten. Das liegt daran, weil die entsprechenden Genehmigungen für notwendige Experimente oft nur schwer zu bekommen sind (so wissenschaftlich interessant und relevant ist das Thema dann doch nicht). Das Gute ist, dass das in Nordamerika ganz anders aussieht und wir uns daher auf Studien von z.B. nahe verwandten Arten stützen können: Walleye (Sander vitreus) und Gelbbarsch (Perca flavescens).

Für beide Fischarten scheint eine Tiefe von 10 Metern eine sehr bedeutende Grenze zu sein. In einer erst kürzlich veröffentlichten Studie stieg die Sterblichkeit für Walleyes ab der 10 Meter Marke rasant von 5 auf 37% an (Lyon et al., 2022)! Bei 12 Metern Wassertiefe lag die Sterbewahrscheinlichkeit bei 92%. Erste Anzeichen für ein Barotrauma können allerdings schon früher auftreten. 

Schreer et al. (2009) fanden bereits erste Anzeichen für ein Barotrauma bei Walleye und Gelbbarsch ab einer Tiefe von knapp über 6 Metern. Aber auch hier stieg die Sterbewahrscheinlichkeit erst ab 10 Metern rasant an. Im Kontrast dazu steht eine Studie, die keinen Effekt der Fangtiefe auf die Sterblichkeitswahrscheinlichkeit von Walleyes feststellen konnte (Twardek et al., 2018). Hier sind Fische zwischen 6 und 12 Metern Wassertiefe gefangen worden. 

Auch ganz speziell für Gelbbarsche scheint die Tiefe von 10 Metern eine entscheidende Rolle zu spielen (Knight et al., 2018). Bei einer Tiefe von 6 Metern liegt die Sterbewahrscheinlichkeit noch bei unter 5%, bei 18 Metern sind es dann mehr als 95%. Bei circa 10 Metern zeigen ungefähr 50% der gefangenen Fische ein Anzeichen für ein Barotrauma. 

Wie gesagt, selbst wenn wir keine äußeren Anzeichen für ein Barotrauma feststellen können, kann es trotzdem innerliche Verletzungen geben. Fische mit Barotrauma haben kaum eine Überlebenschance. Wenn man also vor hat, gefangene Fische ggf. zurückzusetzen, sollten 10 Meter Wassertiefe das absolute Maximum sein. Wer verantwortungsbewusst angelt, hört am besten bei einer Tiefe von 6 Metern auf.

Was verhindert ein Barotrauma?

Wenn man über das Thema Barotrauma spricht/schreibt, hört man ganz oft, dass ein langsamer Drill dazu beitragen soll, dass Fische höhere Überlebenschancen haben. Die Idee ist, dass man dem Fisch quasi Zeit für einen Druckausgleich gibt. Stellt man sich vor, dass bei Physoklisten der gesamte Druckausgleich der Schwimmblase über Diffusion und Osmose geschehen muss (beides eher langsame Vorgänge), wird eigentlich schnell klar, dass das wenig Sinn macht. 

Zumindest ein Bericht aus den Staaten konnte ich finden, der nahe legt, dass in Bezug auf die Zeit, die Gelbbarsche brauchen um sich vom Fang in 3 oder 6 Meter Wassertiefe zu erholen, die Dauer des Drills absolut keine Rolle spielt (https://faculty.bemidjistate.edu/ahafs/wp-content/uploads/sites/2/2015/05/2015.-Klingsheim-B.J.-Influence-of-depth-and-retrieval-speed-on-yellow-perch-barotrauma-recovery-time-in-winter.pdf, aufgerufen am 15.11.2022). 

Neben diesem „langsamen“ Drill gibt es noch weitere Methoden, die immer wieder genannt werden, um die Effekte eines Barotraumas zu verringern und die Überlebenswahrscheinlichkeit der Fische zu erhöhen. Ich nenne diese Methoden hier erst gar nicht und möchte den Bericht lieber mit zwei (englischen) Zitaten beenden, die eben genau die Effektivität dieser Methoden untersucht haben.

“On the basis of these results, wherever possible Macquaria novemaculeata suffering barotrauma should be immediately released with no treatment.” (Roach et al., 2011)

Zwar keine heimische Fischart, aber M. novemaculeata ist der „Australische Bass“ und wie gesagt, es geht um die Anatomie, nicht die genaue Fischart! In einer weiteren Studie, in dem Fall dann zum Walleye, heißt es:“Eliminating catch-and-release angling in deep water is the best means of managing barotrauma in Walleye.”  (Eberts et al., 2018)

Fazit

Die Verwertungsabsicht für gefangene Fische sollte in gleichem Maß steigen wie die Tiefe, in der die Fische gefangen werden!

Ab 10 Meter macht ein Zurücksetzen absolut keinen Sinn mehr. Aber auch ab 8 Metern Tiefe sollte man sich ein Zurücksetzen bereits gut überlegen.

Autor: Dr. Martin Friedrichs-Manthey (Gewässerökologe)

Quellenangaben

Eberts, R. L., Zak, M. A., Manzon, R. G., & Somers, C. M. (2018). Walleye Responses to Barotrauma Relief Treatments for Catch-and-Release Angling: Short-Term Changes to Condition and Behavior. Journal of Fish and Wildlife Management, 9(2), 415-430. https://doi.org/10.3996/112017-jfwm-096 

Knight, C. T., Kraus, R. T., Panos, D. A., Gorman, A. M., Leonhardt, B. S., Robinson, J., & Thomas, M. (2018). Is Barotrauma an Important Factor in the Discard Mortality of Yellow Perch? Journal of Fish and Wildlife Management, 10(1), 69-78. https://doi.org/10.3996/062018-jfwm-056 

Lyon, C. A., Davis, J. L., Fincel, M. J., & Chipps, S. R. (2022). Effects of capture depth on walleye hooking mortality during ice fishing. Lake and Reservoir Management, 1-7. https://doi.org/10.1080/10402381.2022.2130118 

Roach, J. P., Hall, K. C., & Broadhurst, M. K. (2011). Effects of barotrauma and mitigation methods on released Australian bass Macquaria novemaculeata. Journal of Fish Biology, 79(5), 1130-1145. https://doi.org/https://doi.org/10.1111/j.1095-8649.2011.03096.x 

Schreer, J. F., Gokey, J., & DeGhett, V. J. (2009). The Incidence and Consequences of Barotrauma in Fish in the St. Lawrence River. North American Journal of Fisheries Management, 29(6), 1707-1713. https://doi.org/10.1577/M09-013.1 Twardek, W. M., Lennox, R. J., Lawrence, M. J., Logan, J. M., Szekeres, P., Cooke, S. J., Tremblay, K., Morgan, G. E., & Danylchuk, A. J. (2018). The Postrelease Survival of Walleyes Following Ice-Angling on Lake Nipissing, Ontario. North American Journal of Fisheries Management, 38(1), 159-169. https://doi.org/10.1002/nafm.10009

Catch and Release & Entnahmefenster (Teil 1)

Kaum ein Thema spaltet die Anglerschaft in Deutschland so sehr, wie das Thema Catch and Release. Kommt dieses Thema in den sozialen Medien auf, fällt spätestens zwei Kommentare später das Wort „Tierquäler“ und weitere zwei Kommentare später „Kochtopfangler“.

Was ist es, was ist es nicht?

Kaum ein Thema spaltet die Anglerschaft in Deutschland so sehr, wie das Thema Catch and Release. Kommt dieses Thema in den sozialen Medien auf, fällt spätestens zwei Kommentare später das Wort „Tierquäler“ und weitere zwei Kommentare später „Kochtopfangler“. Der Rest der Kommentare ergeht sich dann in endlosen Diskussionen über den Sinn und Zweck des Angelns an sich. Eng mit dem Thema Catch and Release sind natürlich Begriffe wie Tierschutzgesetz, Entnahmefenster, Mindestmaß und Schonzeit verbunden. Oft ist dieser Zusammenhang aber einigen gar nicht so klar, wie er sein sollte. In diesem und in den folgenden Blogbeiträgen wird es genau um diese Begrifflichkeiten und deren Zusammenhänge gehen. Natürlich werde ich immer neben meiner eigenen Meinung auch versuchen, an geeigneten Stellen die aktuelle Wissenschaft zu diesen Themen mit einzubeziehen. Na dann mal los!

Der heilige Gral – Das Tierschutzgesetz

Eines vorweg: Ich habe kein Jura studiert!

Das Tierschutzgesetz ist für uns als AnglerInnen in Deutschland eines der wichtigsten Gesetze, da es über den Fischereigesetzen der jeweiligen Bundesländer steht. Ganz zu Beginn des Tierschutzgesetzes findet sich folgende Passage:

Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.

Als „vernünftiger Grund“ wird, in Bezug auf das Freizeitangeln, eigentlich nur der Verzehr bzw. die Nahrungsbeschaffung angesehen (eine Ausnahme sind bereits hier die nicht-heimischen und invasiven Fischarten). Das ist also die Ausgangssituation, die für uns alle, als angelnde Personen in Deutschland, gleich ist. Und genau dieser Absatz sorgt auch immer wieder dafür, dass man in diversen Diskussionen immer wieder lesen muss, dass „Catch and Release“, also das Fangen und wieder Freilassen von Fischen in Deutschland generell verboten ist. Und hier geht dann die Verwirrung los.

Catch and Release

Catch and Release – Verboten, Erlaubt, Gefordert?

Zum Thema Catch and Release kann man ganz eindeutig sagen, dass es in Deutschland mitnichten verboten ist! Ganz im Gegenteil, es wird vom Gesetzgeber sogar gefordert und die Situationen, in denen es gefordert wird, nehmen sogar ständig zu. Jede angelnde Person MUSS ständig in seinem Angler Leben Catch and Release betreiben und zwar immer dann, wenn i) eine geschützte Fischart gefangen wurde, ii) ein Fisch gefangen wurde, der das Art- und Bundeslandspezifische Mindestmaß noch nicht erreicht hat, iii) wenn man mehr Fische einer Art gefangen hat, als die Art- und Bundeslandspezifische Höchstfangmenge erlaubt, iv) eine Fischart in ihrer Art- und Bundeslandspezifischen Schonzeit gefangen wurde und v) kein vernünftiger Grund (also keine sinnvolle Verwertung gegeben ist) vorliegt.

Mit dem immer populärer werdenden „Entnahmefenster“ oder „Küchenfenster“ (dazu in einem späteren Teil mehr) werden die Situationen sogar noch häufiger. Catch and Release ist also ein fester Bestandteil unserer täglichen Angelei. Was verboten ist, ist natürlich mit einem ganz konkreten Vorsatz ans Wasser zu fahren und zu sagen, dass ich egal welchen Fisch ich fange, ich in jedem Fall alles zurücksetze und ich keinen Fisch entnehmen werde. Wer mit so einem „mind-set“ ans Wasser fährt, betrachtet Fische als reines Sportobjekt. Dass das nicht erlaubt ist, kann ich durchaus verstehen.

Das Mindestmaß – Warum überhaupt?

Die meisten Diskussionen um Catch and Release drehen sich dann aber darum, dass Fische, welche das art- und bundeslandspezifische Schonmaß erreicht haben, eben nicht zurückgesetzt werden dürfen. Wie gesagt, das ist m.E. (mit Ausnahme von Bayern) nicht richtig. Ich darf jederzeit einen Fisch zurücksetzen, wenn ich ihn nicht sinnvoll verwerten kann (ganz selten steht bei mir eine große Familienfeier an, bei der ich einen 15 Kilo Karpfen sinnvoll verwerten könnte). Aber warum gibt es dieses Mindestmaß überhaupt?

Das Mindestmaß – Warum überhaupt?

Der erste und den meisten bekannte Grund ist sicherlich, dass das Mindestmaß sicherstellen soll, dass Fische der jeweiligen Art mindestens einmal in ihrem Leben abgelaicht haben. So soll der Fortbestand der Art langfristig gesichert werden. Ein zweiter Grund ist aber die Annahme, dass die Produktivität eines Gewässers abnimmt, je älter die Fische im Gewässer werden. Das heißt, dass vor allem junge Fische sehr schnell an Gewicht und Größe zulegen und daher den Ertrag eines Gewässers maximieren. Ältere Fische wachsen nur langsam, sind schlechtere „Futterverwerter“ und bringen daher weniger Ertrag. 

Dass vor allem der letzte Punkt maßgeblich von der Berufsfischerei geprägt ist, ist eindeutig. Mindestmaße sind alte und bewährte Managementmaßnahmen, die allerdings durch neuere wissenschaftliche Erkenntnisse und geänderte Ansprüche an Fischbestände immer mehr in die Kritik geraten.

Eines der bekanntesten Probleme, welches durch Mindestmaße erzeugt wird, ist die immer früher eintretende Geschlechtsreife der Fische. Durch Mindestmaße züchtet man sich quasi kleine Fische, die sehr früh geschlechtsreif sind. Diese kleinen Fische haben dann natürlich gegenüber größeren Fischen den Vorteil, dass sie nicht entnommen werden (dürfen) und sich trotzdem fleißig vermehren können. Also ihre Genetik in der Population verbreiten können. 

Ein sehr bekanntes Beispiel dafür ist der Dorsch in der Ostsee. Während man 1930 das Alter eines geschlechtsreifen Dorsches noch auf circa 10 bis 11 Jahre geschätzt hat, waren es um das Jahr 2000 nur noch 7 Jahre. Die Fische werden als viel früher geschlechtsreif (und sind dabei natürlich viel kleiner) (Heino et al., 2002). Ähnliches wurde auch modellhaft für Hecht gezeigt (Matsumura et al., 2010) und für viele weitere Fischarten (Kuparinen & Merilä, 2007 und Quellen in diesem Artikel).

Ein zweites Problem ist aber natürlich auch, dass einheitliche Mindestmaße in meinen Augen keinen Sinn ergeben, da Fische sehr unterschiedlich wachsen in verschiedenen Gewässern. Nun sind Mindestmaße „nur“ auf Bundeslandebene einheitlich, aber selbst diese räumliche Einheit erscheint zu groß. Wir als angelnde Personen kennen dieses Phänomen sehr genau. In einem See gehört der 60er Hecht zum Durchschnitt, im See nebenan ist er der absolute Ausnahme Fisch. 

Als Beispiel für Barsche hat eine Literaturübersicht gezeigt, dass das Wachstum im Wesentlichen vom Klima und der Nahrung abhängt. Soweit keine Überraschung (Pimakhin et al., 2015). Die Auswirkungen beschreiben die Autoren aber in etwas so (frei übersetzt): In kleineren Seen und Talsperren mit geringem Nahrungsangebot wachsen Barsche im ersten Jahr auf eine Totallänge von circa 5 cm. Nach 6 Jahren haben sie in solchen Gewässern eine Länge von circa 20 cm erreicht. In großen Seen, nährstoffreichen Talsperren und Mündungsbereichen großer Flüsse wachsen die Barsche bereits im ersten Jahr auf eine Totallänge von bis zu 12 cm und haben nach 5 Jahren bereits eine Länge von 35 cm erreicht. 

Auch wenn sich diese Studie auf das gesamte Verbreitungsgebiet des Barsches und nicht nur auf Deutschland bezieht, sieht man eindeutig, dass die Unterschiede enorm sind!

Kleines Fazit

Wir sehen also, dass es in Deutschland durchaus erlaubt ist, Fische zurückzusetzen. Das ändert sich auch nicht zwangsläufig, wenn der Fisch das art- und bundeslandspezifische Mindestmaß erreicht hat. Wir sehen allerdings auch, dass das Mindestmaß durchaus Probleme mit sich bringen kann. Die theoretisch denkbaren Lösungen scheinen das Entnahmefenster oder ein generelles Catch and Release  zu sein. Ob dem so ist, kann ich sicher nicht vollständig beantworten, aber ich habe meine Meinung und die aktuelle wissenschaftliche Lage zu diesen Themen ein bisschen erläutert. 

Dazu dann mehr im nächsten Teil: „Teil 2: Catch and Release und alles ist gut?“

Autor: Dr. Martin Friedrichs-Manthey (Gewässerökologe)

Quellenangaben

Heino, M., Dieckmann, U., & Godø, O. R. (2002). Reaction norm analysis of fisheries-induced adaptive change and the case of the Northeast Arctic cod. ICES Journal of Marine Science

Kuparinen, A., & Merilä, J. (2007). Detecting and managing fisheries-induced evolution. Trends in Ecology & Evolution, 22(12), 652-659. https://doi.org/https://doi.org/10.1016/j.tree.2007.08.011 

Matsumura, S., Arlinghaus, R., & Dieckmann, U. (2010). Assessing evolutionary consequences of size-selective recreational fishing on multiple life-history traits, with an application to northern pike (Esox lucius). Evolutionary Ecology, 25(3), 711-735. https://doi.org/10.1007/s10682-010-9444-8 Pimakhin, A., Kouřil, J., Stejskal, V., & Žák, J. (2015). The effect of geographical origin of perch (Perca fluviatilis L. 1758) populations on growth rates under natural and aquaculture conditions: a review. Journal of Applied Ichthyology, 31, 56-63. https://doi.org/10.1111/jai.12901

Angeln – Hobby ohne Widerhaken?!

„Fishcare“ wird im Angelsport immer größer geschrieben. Mit „Fishcare“ ist so ziemlich alles gemeint, was dazu beiträgt, dass ein Fisch nach dem Fang so zurückgesetzt werden kann, dass er diese Prozedur mit möglichst hoher Wahrscheinlichkeit überlebt. Gesetzlich spiegelt sich diese Entwicklung zum Beispiel in Vorschriften wider, die das Benutzen von Einzelhaken vorschreiben (viele Salmonidengewässer) oder die Nutzung von Abhakmatten (Fischereiverordnung Hamburg).

“Fishcare” aktiv betreiben

Darüber hinaus gibt es aber auch noch eine Vielzahl „freiwilliger“ Maßnahmen, die das Überleben von gefangenen Fischen sicherstellen sollen. Gummierte Kescher, oder das Abrüsten von Ködern. Besonders das Abrüsten von Ködern, also das Ersetzen von Drillingen durch Einzelhaken, sorgt immer wieder für spannende Diskussionen. Wissenschaftlich wird dem Abrüsten – bei Beibehaltung des Widerhakens – eher ein sehr geringer Effekt bescheinigt, aber dazu vielleicht an anderer Stelle mal etwas mehr (Trahan et al., 2021). Aber nicht zuletzt deswegen bleiben bei mir nahezu immer Drillinge am Köder, besonders der hintere Drilling wird eigentlich nie ersetzt. Aber trotz dieser Kontroverse wird das Abrüsten besonders bei den Barschanglern, befeuert durch Foren wie Barschalarm, als eine Art heilige Kuh angesehen, deren Nutzen – von aller oberster Stelle bescheinigt –  in Stein gemeißelt zu sein scheint.

Angelhaken mit und ohne Widerhaken

Besonders spannend in diesem Zusammenhang finde ich, dass eine Diskussion, die nachweislich viel mehr zum Wohl der Fische beitragen würde, nahezu gar nicht geführt wird. Einen wirklich nachweisbaren Effekt auf die Überlebenswahrscheinlichkeit von zurückgesetzten Fischen hat nämlich die Nutzung von Schonhaken, also Haken ohne Widerhaken (Kapusta & Czarkowski, 2022; Taylor & White, 1992; Trahan et al., 2021).

In nahezu allen Studien, die vergleichend getestet haben, welche Haken (Drillinge oder Einzelhaken jeweils mit oder ohne Widerhaken) den geringsten Schaden bei Fischen anrichten, schneiden immer die Haken ohne Widerhaken deutlich besser ab. Schonhaken verringern die Zeit die benötigt wird einen Fisch abzuhaken, Schonhaken verringern das Risiko einer ernsthaften Verletzung der Fische und mit Schonhaken gefangene Fische bluten weniger häufig nach dem Fang als Fische, die mit normalen Haken gefangen wurden.

Warum werden Schonhaken immer noch so selten benutzt?

Trotz dieser sehr deutlichen Vorteile habe ich bisher viel zu selten Schonhaken im Einsatz gesehen. Mittlerweile gibt es unzählige Videoformate, bei denen man den „Profis“ zuschauen kann, wie man möglichst effektiv Fische am laufenden Band fängt. Dabei wird immer wieder betont, wie schonend doch mit den Fischen umgegangen wird. Es gibt zum Beispiel häufig eine Pflicht zur Nutzung des Keschers (wobei Studien zeigen, dass Kescher eher schädlich sind; Barthel et al., 2003), oder, wie beim Youtube Predator Cup (YPC), Strafpunkte, wenn kein Stahlvorfach genutzt wird und ein Fisch abreißt (wobei auch hier Studien zeigen, dass die Fische die Köder im Normalfall recht schnell wieder loswerden; Pullen et al., 2019).

Natürlich ist es gut darauf zu achten, dass Fische möglichst schonend behandelt werden, aber wenn es diese Einsichten in anderen Bereichen gibt, die durchaus umstritten sind, warum dann nicht beim Nutzen von Schonhaken? Wie gesagt, hier ist sich die Wissenschaft nahezu einig.

Ich sehe eigentlich nur einen Grund und der liegt in der Chance einen „guten“ (das bedeutet in Wettkämpfen meist großen) Fisch zu verlieren. Diese Angst scheint so groß zu sein, dass das Fischwohl schnell in den Hintergrund rückt. Diese Angst hat natürlich jede angelnde Person. Die Fische, die wir nicht bekommen, sind immer die größten. Und ein Fischverlust ist immer am ärgerlichsten, wenn er in einem Wettkampf passiert. Profis vor der Kamera sind ja auch immer in einer Art Bringschuld (in die sie sich übrigens selbst gebracht haben) und da schmerzt jeder verlorene Fisch doppelt.

Wie sieht es mit der Fangquote bei Schonhaken aus?

Dass Schonhaken allerdings wirklich „Fische kosten“, ist dann aber wieder durchaus umstritten. Bei Meeresfischen wurde ein deutlich negativer Effekt nachgewiesen (Alós et al., 2008; Schaeffer & Hoffman, 2002), ein leicht negativer Effekt wurde bei Forellen gezeigt (Bloom, 2013). Für Barsche – gefangen unter Eis mit der Mormyshka – konnte kein negativer Effekt festgestellt werden (Czarkowski & Kapusta, 2019), ebenso bei Cypriniden (Kapusta & Czarkowski, 2022). Aber selbst, wenn es Verluste bei den Fangzahlen geben sollte, sollte es uns das nicht im Sinne des Fischwohls wert sein? Ich denke schon, auch wenn ich selbst noch zu oft zu „normalen“ Haken greife.

Generell finde ich es sehr interessant, dass diese Diskussion noch nicht wirklich geführt wird. Man stelle sich vor, es gäbe eine Verpflichtung zum Nutzen von Schonhaken bei der nächsten Predator-Tour, oder den World Predator Classics (WPC) oder dem YPC. Das wäre wirklich ein Zeichen in Richtung Fischwohl. Da alle die gleichen negativen Effekte auf die Fangzahlen  hätten, würde es im Prinzip absolut nichts am Turnier an sich ändern. Spannend, oder?

Für alle diejenigen, die gerne was Gutes für die Fische tun wollen, ohne aber auf eine sehr hohe Ausbeute bei den Bissen verzichten zu müssen, können “micro barbed” Haken eine echte Alternative sein. Bei solchen Hakentypen (es gibt verschiedene Varianten) sind die Widerhaken (oder manchmal auch nur leichte Verdickungen am Haken) so klein, dass sie zwar die Chance des Fischverlustes  verringern, aber gleichzeitig nahezu kein Fleisch fassen und daher leicht und problemlos zu lösen sind. Für mich persönlich ist das allemal einen Versuch wert!

Hier findest du Angelhaken mit Micro Barbs und gänzlich ohne Widerhaken bei uns im Shop.

Autor: Dr. Martin Friedrichs-Manthey (Gewässerökologe)

Quellenangaben

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Barthel, B. L., Cooke, S. J., Suski, C. D., & Philipp, D. P. (2003). Effects of landing net mesh type on injury and mortality in a freshwater recreational fishery. Fisheries Research, 63(2), 275-282. https://doi.org/10.1016/s0165-7836(03)00059-6 

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Slow Jigging – Die Erfolgsmethode aus Japan!

Der Erfolg des klassischen Speed Jiggings stand für mich seit einem Erlebnis im Jahre 2012 außer Frage. Im Rahmen einer Urlaubsreise nach Mexiko charterte ich damals ein Boot bei einem lokalen Anbieter und die Tour entpuppte sich als Kombination aus mäßig erfolgreichem Schleppangeln, etwas Grundangeln mit Handleine (…) und Schnorcheln mit Schildkröten. Der „größte“ Fang damals war ein geschleppter Bonito, zusätzlich konnte ich mit der mitgebrachten ¾ Oz Reise-Baitcastrute und schweren Rubber-Jigs noch einige Barscharten fangen. Alles im Allem also aus anglerischer Perspektive nicht der Rede wert, als gemeinsamer Ausflug mit meiner Frau natürlich trotzdem schön.

Abends am Strand angekommen, traf ich allerdings auf zwei Angler aus den USA, welche gerade einen selbstgefangenen Thunfisch verspeisten und mir Fotos der weiteren Amberjacks und Thunfischen zeigten – insgesamt soweit ich mich erinnere um die 15 Stück und das wohl gemerkt am gleichen Tag im gleichen Gebiet. Nur das gesamte Tackle hatten sie selbst mitgebracht und dem lokalen Guide bzw. Bootsführer lediglich die Stellen auf dem Echolot markiert, die er für die Driften ansteuern sollte. Die Effektivität dieser Technik war entsprechend beeindruckend und nicht ohne Grund bietet unser damaliger Guide Ivan mittlerweile auch Jigging Touren an, wie ich durch Zufall zwei Jahre später im YouTube-Kanal von „Fischersmaxe“ sehen konnte.

Slow Jigging - Die Erfolgsmethode aus Japan!

Als ich drei Jahre später entschlossen hatte zu meinem Geburtstag eine Jigging Tour mit Andrees Expeditions nach Mitsio im Norden Madagascars zu buchen, fingen natürlich die Vorbereitungen mit Tackle-Zusammenstellung an. Vom reinen Zuschauen auf den Speed Jigging Tutorials bei YouTube bekam ich jedoch schon Muskelkater und Phantomschmerzen, also suchte ich auch nach weniger Kräfte zehrenden Alternativen. In Erinnerung an die vielen Slow Jigging Neuheiten der Osaka Fishing Show und insbesondere dem Katalog von XESTA (als damals wohl spezialisierteste Marke in diesem Bereich) begann also auch hier die Recherche.

Damals entschloss ich mich eine Xesta Slow Emotion B604 mit Tailwalk ELAN Wide Power und Xesta Slow Emotion B78MH mit einer Poseidon Mini 200 mitzunehmen, passend dazu diverse Jigs und Co. Von den lokalen Guides von Tropical Fishing kannte damals niemand diese Technik, der Erfolg insbesondere auf langsamere Räuber wie Grouper, Bloody Snapper und sonstige Riffbewohner wie Emperor Jacks aber auch kleinere GT bei meinen Tests war jedoch unübersehbar.

Snapper mit Slow Jigging Methode gefangen

Auch in den Phasen, wo klassisch geführte Jigs keinen Erfolg mehr brachten, konnte ich mit dem Slow Jigging Bisse provozieren und Fische landen. Nicht ohne Grund sind mittlerweile auch bei Tropical Fishing die Slow Jigging Ruten ein fester Bestandteil im Leihgerät und wurde auch von Alain Soulet ausgiebig getestet und erstmals auch gezielt z.B. Ruby Snapper gefangen.

Seitdem hat sich viel getan und viele weitere Hersteller in Japan und anderswo haben sich diesem Hype Thema angenommen und weiter optimiert oder an neue Fischarten angepasst. So konnte ich für die erneute Reise in den Norden von Madagascar weiteres Tackle testen, und zwar:

Slow Jigging Tackle

Angelausrüstung zum Slow Jigging

  • Tailwalk Salty Shape Dash SPJ 631 & Tailwalk ELAN Wide Power II 71BL
  • Maxel RiskyPlayer 558 & Maxel Rage R60HL (Prototyp)
  • Maxel RiskyPlayer 605 & Maxel Hybrid HY20CL
  • GOSEN 8-Braid in PE 2.5-4.0

Die Besonderheit der Slow Jigs selbst ist die Gewichtsverteilung, da diese in der Regel „Center Balanced“ (also mittig ausbalanciert) sind. Dadurch sinken diese waagerecht zu Boden und die Bisse erfolgen beidseitig. Aus diesem Grund sind die Köder auch an beiden Enden mit Haken bestückt, klassischerweise mit je zwei Doppelhaken. Diese sind deutlich dünner, kleiner und vor allem auch schärfer als beim Speed Jigging, so dass kein brachialer Anschlag notwendig ist. Meist haken sich die Fische bereits beim Biss selbst und das Gewicht verteilt sich auf mehrere Haken. Ich verwende die sehr stabilen und hochwertigen VanFook JL-45 und JST-44 in Hakengrößen 2/0 und 3/0. Die Länge der Assist Line bestimmt sich durch den Köder: Die Haken sollten etwa nach dem ersten Drittel und maximal in der Mitte des Jigs hervorstehen und dürfen sich nicht berühren, damit sie sich nicht verheddern.

Jigs zum SLow Jigging
Behakung am Slow Jig
Slow Jigging Hooks

Bevor es zu sehr in technische Details geht, werde ich aber das grundsätzliche Thema Slow Jigging aufgreifen und erklären. Meine Erklärungen basieren grundsätzlich auf dem großen Erfahrungsschatz von „Totos“ Ogasawara von Anglers-Secrets, welcher die wohl größte englischsprachige Wissensdatenbank zu diesem Thema pflegt und mit den Urvätern des Slow Jiggings in Japan wie Norihiro Sato eng zusammenarbeitet.

Ich sehe das Slow Jigging nicht als Ersatz für das Speed Jigging, sondern als Ergänzung. Zum Einen kann man die Bandbreite der Zielfische ausweiten, zum Anderen aber auch während der inaktiveren Fressphasen der Räuber noch Bisse provozieren und nicht zuletzt auch eigene Ermüdungsphasen überbrücken oder körperliche Defizite (z.B. für ältere oder gehandicapte Angler) ausgleichen. Slow Jigging ist – zumindest bis zum Drill – deutlich weniger anstrengend als Speed Jigging und bringt laut meiner Erfahrung auch deutlich mehr Bisse, aber im Falle von sehr aktiven Räubern wie Dogtooth Tuna und GT nicht die Größeren. Zumindest bei meinen bisherigen Touren waren die GT beim Slow Jigging im Durchschnitt kleiner als beim Speed Jigging, dafür die Vielfalt und Anzahl an gefangenen Fischen deutlich größer.

Trotz vieler individueller Führungsvariationen lassen sich grundsätzlich drei primäre Techniken des Slow-Jiggings beschreiben:

1. Slow Pitch Jerking

Beim klassischen Slow Pitch Jerking kann man sich die Rute und Arm als Uhrzeiger vorstellen. Diese steht in der Ausgangsposition bei 3 Uhr und bewegt sich in der Regel 1-2 Stunden nach oben und unten, maximaler Aktionsradius sind 180° von 12 Uhr bis 6 Uhr.

Slow Jigging kurz erklärt

Diese Rutenbewegung erfolgt mit jedem „Pitch“ durchschnittlich einmal pro Sekunde. Beim Anheben der Rute wird gleichzeitig eine halbe oder volle Kurbelumdrehung mit der Rolle vollzogen, die einen Schnureinzug von über 90 cm oder in tieferen Gefilden sogar über 100 cm haben sollte (sprich: High Gear, also eine hohe Übersetzung).

Sobald die Kurbelumdrehung und Rutenbewegung abgeschlossen ist, erschlafft für einen kurzen Moment die Schnur: Genau in diesem Moment gleitet der Slow Jig quasi schwerelos und waagerecht im Wasser. Es folgt die Rutenbewegung nach unten und der freie Fall des Slow Jigs, der nun wie ein Blatt nach unten gleitet.

Slow Jigging - Bewegungsablauf, Schritt 1
Slow Jigging - Bewegungsablauf, Schritt 2
Slow Jigging - Bewegungsablauf, Schritt 3

Am Ende der Absinkphase, wenn die Rute bei ca. 4-5 Uhr steht, strafft sich die Schnur durch das Gewicht des Jigs und die Rutenspitze beginnt sich zu Aufzuladen. In diesem Moment startet die gleitende Bewegung des nächsten Pitches und das Ganze beginnt von vorne – sofern nicht ohnehin schon ein Biss erfolgt und der Drill beginnt!

2. Hi-Pitch Jerking

Das Hi-Pitching ist nicht schneller als das Slow-Pitching, sondern „energischer“. Oft sind auch die darauf spezialisierten Ruten etwas straffer und mit mehr Aufladung verbunden, damit am Ende des Pitchs der Slow Jig in eine längere Phase der „Schwerelosigkeit“ übergeht und freier spielen kann. Ziel ist es, dass in dieser Phase noch mehr Bisse generiert werden.

Wenn man nur mit einer Rute fischt, kann man dieses Verhalten aber auch durch eine kraftvollere Bewegung aus dem Handgelenk provozieren. Die Absinkphase selbst unterscheidet sich nicht sonderlich von der erstgenannten Variante.

3. Long-Fall Jerking

Während beim Hi-Pitching die schwerelose Phase am Höhepunkt des Pitches verlängert werden soll, konzentriert sich das Long-Fall Jerking auf eine Verlängerung des freien Falls in der Endphase. Dazu wird die Rute während des Pitchs besonders hoch (also bis 11 oder 12 Uhr) gezogen und während des „langen Fallens“ auch besonders tief abgesenkt (bis 5 oder 6 Uhr), so dass ein extrem großer Aktionsradius entsteht.

In den ersten Jahren der wachsenden Popularität des Slow Jiggings wurden bei verschiedenen Herstellern spezielle Ruten für das Long Fall Jerking ins Programm aufgenommen, teilweise mit Längen bis zu 2,40 m. Dadurch konnte der Slow Jig natürlich auch große Strecken im „freien Fall“ zurücklegen. Doch spätestens beim Drill (vor allem bei größeren Gegnern) war die Rutenlänge unpraktisch. Persönlich würde ich daher auch keine extra lange Slow Jigging Rute mitnehmen, sondern für diesen Führungsstil einfach die Arme etwas weiter ausstrecken.

Der aktuelle Trend geht, da zunehmend auch größere Fische wie Amberjacks und GT der 40 Kg Klasse oder sogar Kingfish und Grouper jenseits der 70 kg beim Slow Jigging gefangen werden, momentan eher zu kürzeren und kraftvolleren Ruten mit mehr Drag als die üblichen 1-3 Kg. Das von mir getestete Maxel Modell RiskyPlayer 558 ist z.B. für PE 4.0 bis 14 Kg Drag ausgelegt.

Grundsätzlich werden dünnere Hauptschnüre der PE Klasse 1.5 bis 2.0 gefischt, da diese weniger Wasserwiderstand haben und es ermöglichen, dass der Slow Jig möglichst leicht ist und trotzdem auch bei höheren Wassertiefen möglichst senkrecht unter dem Boot bleibt. Für alle oben genannten Führungsstile ist es unabdingbar, dass der direkte Kontakt zum Köder besteht. Für ein optimales Laufverhalten wird der Slow Jig zudem an dünnem Vorfach montiert, optimal ist z.B. 40-50 lbs Fluorocarbon.

Long-Fall Jerking, 1
Long-Fall Jerking, 2
Long-Fall Jerking, 3

In Madagascar rund um Mitsio Island wird jedoch primär in flacheren Gebieten von 40-60 m Wassertiefe gefischt, so dass in Kombination mit 150 bis 180 g Jigs problemlos auch PE 2.5 eingesetzt werden kann. Aufgrund der ohnehin hohen Bissfrequenz empfehle ich auch zudem stärkeres Vorfachmaterial wie ein abriebsfestes 80 lbs Fluorocarbon Vorfach, da größere Grouper problemlos auch 50 lbs Vorfach durchraspeln. Sollten wider Erwarten die Bisse ausbleiben, kann man immer noch auf dünneres Material wechseln, andersherum wird es schwierig: Denn während dem Drill ist der Wechsel auf dickeres Vorfach leider nicht möglich…

Erfolgreich Slow Jigging, 1
Erfolgreich Slow Jigging, 2
Erfolgreich Slow Jigging, 3
Erfolgreich Slow Jigging, 4
Erfolgreich Slow Jigging, 5
Erfolgreich Slow Jigging, 6

Passend zu diesem Bericht habe ich mit Andreas Knausenberger auch ein Video gedreht, viel Spaß damit!