Was ist es, was ist es nicht?
Kaum ein Thema spaltet die Anglerschaft in Deutschland so sehr, wie das Thema Catch and Release. Kommt dieses Thema in den sozialen Medien auf, fällt spätestens zwei Kommentare später das Wort „Tierquäler“ und weitere zwei Kommentare später „Kochtopfangler“. Der Rest der Kommentare ergeht sich dann in endlosen Diskussionen über den Sinn und Zweck des Angelns an sich. Eng mit dem Thema Catch and Release sind natürlich Begriffe wie Tierschutzgesetz, Entnahmefenster, Mindestmaß und Schonzeit verbunden. Oft ist dieser Zusammenhang aber einigen gar nicht so klar, wie er sein sollte. In diesem und in den folgenden Blogbeiträgen wird es genau um diese Begrifflichkeiten und deren Zusammenhänge gehen. Natürlich werde ich immer neben meiner eigenen Meinung auch versuchen, an geeigneten Stellen die aktuelle Wissenschaft zu diesen Themen mit einzubeziehen. Na dann mal los!
Der heilige Gral – Das Tierschutzgesetz
Eines vorweg: Ich habe kein Jura studiert!
Das Tierschutzgesetz ist für uns als AnglerInnen in Deutschland eines der wichtigsten Gesetze, da es über den Fischereigesetzen der jeweiligen Bundesländer steht. Ganz zu Beginn des Tierschutzgesetzes findet sich folgende Passage:
“Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.”
Als „vernünftiger Grund“ wird, in Bezug auf das Freizeitangeln, eigentlich nur der Verzehr bzw. die Nahrungsbeschaffung angesehen (eine Ausnahme sind bereits hier die nicht-heimischen und invasiven Fischarten). Das ist also die Ausgangssituation, die für uns alle, als angelnde Personen in Deutschland, gleich ist. Und genau dieser Absatz sorgt auch immer wieder dafür, dass man in diversen Diskussionen immer wieder lesen muss, dass „Catch and Release“, also das Fangen und wieder Freilassen von Fischen in Deutschland generell verboten ist. Und hier geht dann die Verwirrung los.
Catch and Release – Verboten, Erlaubt, Gefordert?
Zum Thema Catch and Release kann man ganz eindeutig sagen, dass es in Deutschland mitnichten verboten ist! Ganz im Gegenteil, es wird vom Gesetzgeber sogar gefordert und die Situationen, in denen es gefordert wird, nehmen sogar ständig zu. Jede angelnde Person MUSS ständig in seinem Angler Leben Catch and Release betreiben und zwar immer dann, wenn i) eine geschützte Fischart gefangen wurde, ii) ein Fisch gefangen wurde, der das Art- und Bundeslandspezifische Mindestmaß noch nicht erreicht hat, iii) wenn man mehr Fische einer Art gefangen hat, als die Art- und Bundeslandspezifische Höchstfangmenge erlaubt, iv) eine Fischart in ihrer Art- und Bundeslandspezifischen Schonzeit gefangen wurde und v) kein vernünftiger Grund (also keine sinnvolle Verwertung gegeben ist) vorliegt.
Mit dem immer populärer werdenden „Entnahmefenster“ oder „Küchenfenster“ (dazu in einem späteren Teil mehr) werden die Situationen sogar noch häufiger. Catch and Release ist also ein fester Bestandteil unserer täglichen Angelei. Was verboten ist, ist natürlich mit einem ganz konkreten Vorsatz ans Wasser zu fahren und zu sagen, dass ich egal welchen Fisch ich fange, ich in jedem Fall alles zurücksetze und ich keinen Fisch entnehmen werde. Wer mit so einem „mind-set“ ans Wasser fährt, betrachtet Fische als reines Sportobjekt. Dass das nicht erlaubt ist, kann ich durchaus verstehen.
Das Mindestmaß – Warum überhaupt?
Die meisten Diskussionen um Catch and Release drehen sich dann aber darum, dass Fische, welche das art- und bundeslandspezifische Schonmaß erreicht haben, eben nicht zurückgesetzt werden dürfen. Wie gesagt, das ist m.E. (mit Ausnahme von Bayern) nicht richtig. Ich darf jederzeit einen Fisch zurücksetzen, wenn ich ihn nicht sinnvoll verwerten kann (ganz selten steht bei mir eine große Familienfeier an, bei der ich einen 15 Kilo Karpfen sinnvoll verwerten könnte). Aber warum gibt es dieses Mindestmaß überhaupt?
Der erste und den meisten bekannte Grund ist sicherlich, dass das Mindestmaß sicherstellen soll, dass Fische der jeweiligen Art mindestens einmal in ihrem Leben abgelaicht haben. So soll der Fortbestand der Art langfristig gesichert werden. Ein zweiter Grund ist aber die Annahme, dass die Produktivität eines Gewässers abnimmt, je älter die Fische im Gewässer werden. Das heißt, dass vor allem junge Fische sehr schnell an Gewicht und Größe zulegen und daher den Ertrag eines Gewässers maximieren. Ältere Fische wachsen nur langsam, sind schlechtere „Futterverwerter“ und bringen daher weniger Ertrag.
Dass vor allem der letzte Punkt maßgeblich von der Berufsfischerei geprägt ist, ist eindeutig. Mindestmaße sind alte und bewährte Managementmaßnahmen, die allerdings durch neuere wissenschaftliche Erkenntnisse und geänderte Ansprüche an Fischbestände immer mehr in die Kritik geraten.
Eines der bekanntesten Probleme, welches durch Mindestmaße erzeugt wird, ist die immer früher eintretende Geschlechtsreife der Fische. Durch Mindestmaße züchtet man sich quasi kleine Fische, die sehr früh geschlechtsreif sind. Diese kleinen Fische haben dann natürlich gegenüber größeren Fischen den Vorteil, dass sie nicht entnommen werden (dürfen) und sich trotzdem fleißig vermehren können. Also ihre Genetik in der Population verbreiten können.
Ein sehr bekanntes Beispiel dafür ist der Dorsch in der Ostsee. Während man 1930 das Alter eines geschlechtsreifen Dorsches noch auf circa 10 bis 11 Jahre geschätzt hat, waren es um das Jahr 2000 nur noch 7 Jahre. Die Fische werden als viel früher geschlechtsreif (und sind dabei natürlich viel kleiner) (Heino et al., 2002). Ähnliches wurde auch modellhaft für Hecht gezeigt (Matsumura et al., 2010) und für viele weitere Fischarten (Kuparinen & Merilä, 2007 und Quellen in diesem Artikel).
Ein zweites Problem ist aber natürlich auch, dass einheitliche Mindestmaße in meinen Augen keinen Sinn ergeben, da Fische sehr unterschiedlich wachsen in verschiedenen Gewässern. Nun sind Mindestmaße „nur“ auf Bundeslandebene einheitlich, aber selbst diese räumliche Einheit erscheint zu groß. Wir als angelnde Personen kennen dieses Phänomen sehr genau. In einem See gehört der 60er Hecht zum Durchschnitt, im See nebenan ist er der absolute Ausnahme Fisch.
Als Beispiel für Barsche hat eine Literaturübersicht gezeigt, dass das Wachstum im Wesentlichen vom Klima und der Nahrung abhängt. Soweit keine Überraschung (Pimakhin et al., 2015). Die Auswirkungen beschreiben die Autoren aber in etwas so (frei übersetzt): In kleineren Seen und Talsperren mit geringem Nahrungsangebot wachsen Barsche im ersten Jahr auf eine Totallänge von circa 5 cm. Nach 6 Jahren haben sie in solchen Gewässern eine Länge von circa 20 cm erreicht. In großen Seen, nährstoffreichen Talsperren und Mündungsbereichen großer Flüsse wachsen die Barsche bereits im ersten Jahr auf eine Totallänge von bis zu 12 cm und haben nach 5 Jahren bereits eine Länge von 35 cm erreicht.
Auch wenn sich diese Studie auf das gesamte Verbreitungsgebiet des Barsches und nicht nur auf Deutschland bezieht, sieht man eindeutig, dass die Unterschiede enorm sind!
Kleines Fazit
Wir sehen also, dass es in Deutschland durchaus erlaubt ist, Fische zurückzusetzen. Das ändert sich auch nicht zwangsläufig, wenn der Fisch das art- und bundeslandspezifische Mindestmaß erreicht hat. Wir sehen allerdings auch, dass das Mindestmaß durchaus Probleme mit sich bringen kann. Die theoretisch denkbaren Lösungen scheinen das Entnahmefenster oder ein generelles Catch and Release zu sein. Ob dem so ist, kann ich sicher nicht vollständig beantworten, aber ich habe meine Meinung und die aktuelle wissenschaftliche Lage zu diesen Themen ein bisschen erläutert.
Dazu dann mehr im nächsten Teil: „Teil 2: Catch and Release und alles ist gut?“
Autor: Dr. Martin Friedrichs-Manthey (Gewässerökologe)
Quellenangaben
Heino, M., Dieckmann, U., & Godø, O. R. (2002). Reaction norm analysis of fisheries-induced adaptive change and the case of the Northeast Arctic cod. ICES Journal of Marine Science.
Kuparinen, A., & Merilä, J. (2007). Detecting and managing fisheries-induced evolution. Trends in Ecology & Evolution, 22(12), 652-659. https://doi.org/https://doi.org/10.1016/j.tree.2007.08.011
Matsumura, S., Arlinghaus, R., & Dieckmann, U. (2010). Assessing evolutionary consequences of size-selective recreational fishing on multiple life-history traits, with an application to northern pike (Esox lucius). Evolutionary Ecology, 25(3), 711-735. https://doi.org/10.1007/s10682-010-9444-8 Pimakhin, A., Kouřil, J., Stejskal, V., & Žák, J. (2015). The effect of geographical origin of perch (Perca fluviatilis L. 1758) populations on growth rates under natural and aquaculture conditions: a review. Journal of Applied Ichthyology, 31, 56-63. https://doi.org/10.1111/jai.12901