Die Vorfreude auf den bevorstehenden Sommerurlaub war dieses Jahr von ganz verschiedenen Faktoren geprägt. Punkt eins lässt sich dabei in einem einfachen Wort zusammenfassen: Urlaub! Zweitens war da der Wohnwagen, den meine Frau und ich auf Grund unserer kleinen Tochter und somit unmittelbar verbundenen mit etwas mehr Wohncomfort beim Camping im Frühjahr angeschafft und in vielen Stunden zu einer gemütlichen Familienunterkunft hergerichtet hatten. Er sollte von nun an den Platz unseres geliebten Zeltes einnehmen, das uns jahrelang auf spannenden Reisen begleitet hatte.
Als Nächstes gesellten sich die Erinnerungen aus meiner Kindheit dazu, die ich an unsere anvisierte Urlaubsregion im Chiemgau mit ihren Fischgewässern hatte. Nicht nur der Chiemsee an sich mit seinem klaren Wasser, das zum Segeln, Baden, Schnorcheln und Angeln einlädt, sorgte für mehr Pulsschlag, sondern auch die Vorfreude auf die glasklaren Bäche, die sich in der Voralpenregion durch Wiesen und Felder schlängeln und über traumhafte Bachforellenbestände verfügen.
Tenkara-Ausrüstung – Weniger ist mehr!
Hatte ich früher Unmengen an Tackle mit in die Urlaube geschleppt, so musste ich mich dieses Jahr mit einem Minimum an Ausrüstung begnügen. Denn da, wo früher Tackleboxen im Auto ihren Platz hatten und die einteiligen Ruten geschickt verstaut werden konnten, türmten sich nun Windelpakete, Sandspielsachen, ein Kinderfahrradanhänger und sonstige Dinge, die man benötigt, um kleine Kinder im Urlaub bei allen Wetterlagen bei Laune zu halten. Jetzt musste nur ein Plan her, um mich im Urlaub auch bei Laune zu halten. Und dieser Plan hieß Tenkara!
Die Recherchen im Internet zeigten schnell, dass ich das gesamte Tackle einer Tenkaraausrüstung notfalls in der Hosentasche in den Urlaub schmuggeln konnte. Schnell war das notwendige Tackle zusammengestellt. Als Rute sollte die Keison Tenkara Fly von Tailwalk mit auf die Reise kommen. Mit einer Länge von 3.60 Meter und der für Tenkararuten typisch kurzen Transportlänge erfüllte sie alle grundlegenden Vorrausetzungen, um die Reise im vollbeladenen Auto zu überstehen. Ansonsten entsprach die Rute natürlich auch meinen qualitativen Vorstellungen und den technischen Details, die man so als Tacklefan hat – saubere Verarbeitung, angenehmer Korkgriff, und ein wirbelgelagertes Lilian an der Rutenspitze.
Im Fliegenfischerhandel orderte ich vom japanischen Hersteller RIO „Suppleflex Tippet“ in 0.152mm als Vorfachspitze. Die passende Tenkarafliegen (Kebari) kamen online über www.1000fliegen.com. (An dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank an das Team von 1000fliegen.com, die es tatsächlich geschafft haben, eine Lieferung von Italien innerhalb von 23 Stunden(!) – ohne Express oder Extrakosten – zu versenden, so dass ich bereits einen Tag später eine komplette Fliegendose voll perfekt gebundener Kebaris auf Schonhaken in den Händen halten konnte!) Der Urlaub konnte also kommen!
Tenkara-Angeln am Chiemsee
Etwas irritiert über die Kosten für Tages- und Wochenkarten für den Chiemsee und die umliegenden Bäche, die einen glauben lassen, nun den Zutritt zu einem exquisiten Privatgewässer erworben zu haben – aber dennoch höchst motiviert und von Tutorials japanisch sprechender Greise mit Bambushüten, die als Tenkarawurfmeister online in Videokanälen unterwegs sind, inspiriert – machte ich meine ersten Probewürfe im hüfttiefen Wasser im Chiemsee. Das überaus großzügige Platzangebot und die geringe Wahrscheinlichkeit, in einem Baum hängen zu bleiben, spielten mir als Wurfanfänger in die Karten. So konnte ich ohne Verluste oder Tüdel meinen ersten Tenkaratag erfolgreich mit ein paar gefangen Weißfischen absolvieren.
Für den kommenden Tag hatte ich mir einen dieser wunderschönen glasklaren Forellenbäche mit knietiefem Wasser ausgesucht, in dem man die Rotgetupften auf Sicht anwerfen konnte. Die Rute war schnell montiert und eine Fliege in Brauntönen der Größe 12 ausgesucht. Meine Turnschuhe hatte ich im Auto und die Wathose im heimischen Keller gelassen – mit der Begründung, dass es ja Sommer sei und man in Gewässern, in denen man sonst um diese Jahreszeit badet (und zwar ohne Wathose). Fehler! Glasklare und knietiefe Forellenbäche in der Voralpenregion sind erstens keine Badegewässer und zweitens arschkalt. Mein Angeltag sollte also so verlaufen, dass ich in regelmäßigen Abständen immer wieder für einige Zeit aus dem Bach raus musste, um die Durchblutung in den Griff zu bekommen, da das Waten auf steinigem Untergrund mit zunehmend steif werdenden Beinen, denen das Gefühl schwindet, nicht einmal halb so spaßig ist, wie es sich hier vielleicht liest.
Übung macht den Tenkara-Meister
Der „Wurfübungstag“ hatte sich jedoch voll ausgezahlt und ich konnte meine Treffsicherheit noch steigern und die Bachforellen gezielt anwerfen. Die Laune der Rotgetupften machte mich jedoch schier wahnsinnig. Die Fliege optimal im Sichtfeld platziert, stiegen die Forellen in Richtung Federbüschel an die Oberfläche (wobei mir jedes Mal vor Spannung ein wenig warm wurde – auch in den Beinen), stupsten sie die Fliege ein wenig an, um kurz darauf wie gelangweilt an ihren alten Standort abzusinken. So ging das fast den ganzen Vormittag: Ich warf die Forellen an, sie stiegen auf, ich bekam Blutdruck, sie begutachteten die Wicklungen auf dem Hakenschenkel und schließlich zeigten sie mir, wenn auch auf Grund ihrer biologischen Erscheinung nicht möglich, den Mittelfinger. Ich wechselte die Fliege, wählte eine andere Präsentation und schneiderte was das Zeug hielt.
Gegen Spätnachmittag – ich hatte bis hierhin eine längere Pause eingelegt und war mit vom eiskalten Wasser knallroten Beinen wie ein Storch in die nächste Bäckerei gestiefelt, um mich etwas zu stärken – kam Bewegung ins Wasser. Die Bachforellen stiegen nach Insekten und ich klappte schon einmal vorsorgehalber meinen Kescher auf, da ich mir des nahenden Erfolges plötzlich sehr sicher war. Und so kam es auch, kurz darauf stieg tatsächlich meine erste Bachforelle an der Tenkararute ein und der Tanz ging los (Kurzzeitig musste ich etwas über mich selbst lachen, da ich reflexartig nach der Rolle greifen wollte, die aber ja bekanntlich an einer Tenkararute fehlt).
Fish-ON – Meine erste Tenkara-Forelle
Nach einem etwas ungewohntem Drill lag eine wunderschöne Bachforelle in meinem Kescher, die weit weg von einem kapitalem Fang war. Dennoch erfreute mich der Anblick meiner ersten Bachforelle, die ich mit der Fliege auf japanische Art und Weise gestippt hatte. An diesem Tag verlor ich noch eine gute Bachforelle, bevor ich trotz sommerlichen 28 Grad Außentemperatur von unten her etwas verfroren und nach gefühlten 1375 Würfen glücklich in den Wohnwagen zurückfuhr.
Im Nachhinein gehört mein erster Ausflug an den Forellenbach mit Tenkaratackle zu den schönsten Angeltagen, die ich erlebt habe. Nicht, weil ich den Fisch meines Lebens gefangen, sondern, weil ich im Laufe diese Tages festgestellt habe, dass sich mit der Zeit eine Art meditativer Zustand während des Werfens einstellt. Auch die Reduktion auf ein Minimum an mitgeschlepptem Tackle sorgt dafür, dass man sich auf die Natur, die Präsentation und schließlich auf sich selbst konzentrieren kann und der gefangene Fisch lediglich die Sache an sich abrundet und nicht zur Fundament des Erlebnisses wird.
Ich danke allen Forellen, die an diesem Tag nicht gebissen, aber kurzeitig Interesse an meiner Fliege gezeigt haben und somit dafür gesorgt haben, dass die Spannung über den Angeltag erhalten blieb. Auch wenn wir Angler immer vom Fisch unsere Lebens träumen und gerne erfolgreiche Angeltage an Anzahl, Größe und Gewicht der gelandeten Fische messen, bin ich mittlerweile fest davon überzeugt, dass gerade die Fische, die man nicht fangen konnte, die schönsten sind.